Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Der DON Quixote, das ist natürlich ein fass ohne Boden, möchte ich beinahe sagen,
ein Buch das eine Rezeptionsgeschichte hat, die sich wirklich denkbar
unterscheidet von den meisten anderen.
Die Wirkungsgeschichte dieses Buchs, ich will nur ganz kurz ein paar Rahmendaten rekapitulieren.
1605 ist der erste Band erschienen, in Madrid 1615 der zweite.
Und schon 1612 geht es mit Übersetzungen los, also wo der zweite Band noch gar nicht erschienen ist,
gibt es schon eine englische Übersetzung, 1614 bereits eine französische.
Auf Deutsch schon 1621, eine übrigens sehr gute Übersetzung, ich finde bis heute sogar die beste deutsche Übersetzung.
Die konnte aber wegen des Dreißigergenkriegs erst später erscheinen, nämlich 1648.
Und was das deutsche Bild geprägt hat, ist dann vor allem die Übersetzung von Ludwig Tieg, 1799 bis 1801.
Von Tieg stammt übrigens auch dieser schöne Übersetzungsfehler, der meinen Titel heute ergeben hat.
Tieg hat das mit dem Ritter von der traurigen Gestalt falsch übersetzt.
Das heißt im Original eigentlich der Ritter mit dem traurigen Gesicht.
Aber er hat dieses Wort Gesicht, Figura auf Spanisch, hat er für Figur gehalten, also für Gestalt und hat das dann so übersetzt.
Und im Deutschen ist das ja ein geflügeltes Wort beinahe geworden, der Ritter von der traurigen Gestalt.
Das kennt man ja.
Also das ist ein Verdienst von Ludwig Tieg.
Ja und dieser Roman ist nicht nur Weltliteratur mit Übersetzungen und Auflagen ohne Ende,
sondern er hat eben auch insgesamt über 1200, das muss man sich mal vorstellen, über 1200 musikalische Adaptionen erfahren.
Also nicht nur der Don Quixote allein, auch die anderen Texte von Cervantes,
aber der überwiegende Teil dieser mehr als 1200 Stücke ist in irgendeiner Form eine Rezeption des Don Quixote.
Es gibt in Madrid eine Arbeitsgruppe an der Universität, die eben schon seit zehn Jahren das sammelt.
Als einzelner Forscher könnte man sowas im Grunde ja gar nicht verarbeiten, eine solche Masse.
Und die waren selber überrascht, die Spanier, wie viel die gefunden haben.
Das ist insofern etwas merkwürdig, diese außergewöhnlich breite Rezeption,
weil der Stoff eigentlich für die Umsetzung im Musiktheater, und da möchte ich zunächst darauf eingehen,
weil er dafür eigentlich ziemlich ungeeignet ist.
Es gibt eigentlich keinen Grund, ausgerechnet aus diesem Roman, eine Oper zu machen.
Denn der Roman ist natürlich zum einen viel zu umfangreich.
Also ist es vollkommen ausgeschlossen, auch nur annähernd die Struktur dieses Romans irgendwie einzufangen im Musiktheater.
Und die meisten der Don Quixote Opern sind natürlich minimalste Ausschnitte,
die ein oder zwei Episoden aus diesem riesigen Roman wiedergeben.
Und dann stellt sich natürlich sofort die Frage, was nimmt man denn da für Episoden raus und warum?
Dann ist es ja bekanntlich ein über weite Strecken satirischer oder zumindest ironischer Roman.
Und da kommen wir natürlich gleich in ein großes Problemfeld.
Wie gestaltet man denn eigentlich Ironie in der Musik?
Also in der Oper geht es ja noch, aber in der Instrumentalmusik.
Wir schlagen uns in der Mozartforschung seit 200 Jahren mit E.T.R. Hoffmann rum,
der nämlich ziemlich genau vor 200 Jahren behauptet hat, Cossi Fantutti sei ironische Musik.
Die Forschung ist inzwischen der Meinung, das Stück ist ironisch,
aber die Musik an sich kann man schlecht ironisch qualifizieren.
Also es gibt keine Stilmerkmale, die man nun tatsächlich als Ironiesignale deuten könnte.
Also das ist ein großes Problem, was Hoffmann da damals aufgemacht hat.
Und es ist auch gut, dass er dieses Problem mal in den Raum gestellt hat,
aber wir sind noch weit davon entfernt, das wirklich bestimmen zu können,
wann Musik von ihren Strukturen her ironisch ist.
Durch bestimmte programmatische Anbindungen, durch bestimmte dramatische Situationen natürlich schon.
Aber rein auf der Ebene der musikalischen Strukturen ist das schwer zu beschreiben.
Ein Problem ist natürlich auch die Frage, wie schätzt man eigentlich diese Hauptfigur ein?
Presenters
Prof. Dr. Jörg Krämer
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:59:25 Min
Aufnahmedatum
2016-02-04
Hochgeladen am
2016-02-10 13:53:37
Sprache
de-DE
Der Vortrag „Der Ritter von der traurigen Gestalt als musikalischer Held“ geht der Wirkung des Don Quijote-Romans von Cervantes in der Musik von der Barockzeit bis ins 20. Jahrhundert nach. Ausgewählte Stationen der Rezeption des Werks auf der Opernbühne und in der Instrumentalmusik werden (auch mit Hörbeispielen) vorgestellt. Gefragt wird dabei nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der produktiven Weiterverarbeitung des Romans von Cervantes.
Links zu den im Video besprochenen Musikbeispielen:
Hörbeispiel 1: www.youtube.com/watch?v=Tpcy8L-endk
Hörbeispiel 4: www.youtube.com/watch?v=tdCH-bLnJZ0
Hörbeispiel 5: www.youtube.com/watch?v=eOYjVBnA80k